die Sie vielleicht noch nicht wissen …
von Karin Hellauer
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Kleinwuchs kann in jeder Familie vorkommen. Als kleinwüchsig gelten Menschen, die zwischen 70 und 150 Zentimeter groß sind. Kleinwuchs ist immer eine Störung des Wachstums, die aber völlig verschiedene Ursachen und Auswirkungen haben kann. Es gibt circa 150 verschiedene Kleinwuchsarten mit diversen Unterformen. In Deutschland leben circa 100.000 Menschen mit Kleinwuchs.
Leicht ist es nicht, jeden Tag angegafft zu werden. Das schmerzt Menschen mit Kleinwuchs genauso wie die oft strapazierten Gelenke. Ein Vorurteil, mit dem viele Menschen mit Kleinwuchs zu kämpfen haben, ist, dass sie ihrer Größe nach beurteilt werden und sie ständig beweisen müssen, dass sie geistig fit und altersgemäß entwickelt sind – auf Dauer ist dies seelisch sehr belastend.
Eine genetische Entwicklungsstörung des Knorpel- und Knochengewebes ist der Grund für die häufigste Kleinwuchsform: “Achondroplasie”. Es liegt ein Defekt im Fibroblasten Wachstumsfaktor-Rezeptor-3-Gen auf Chromosom 4p vor. Bei einer normalen Knorpelzelle sitzt an der Zelloberfläche der Signalempfänger, der den Wachstumsfaktor einfängt und in das Zellinnere weiterleitet. Bei Achondroplasie sitzt der Rezeptor auch an der Zelloberfläche, ist jedoch durch den Austausch von Glyzin durch Arginin (Aminosäuren) so verändert, dass er seine Aufgabe nicht mehr wahrnehmen und damit das “Wachstumssignal” nicht weiter in die Zelle leiten kann. Das Ergebnis ist die unzureichende Teilung der Knorpelzellen. Da die restlichen für die Herstellung verschiedener Rezeptoren verantwortlichen Gene bei der Achondroplasie nicht betroffen sind, entwickeln sich (andere Gewebe wie) Gehirn, Lunge, Herz und Leber völlig normal. Achondroplasie entsteht in den meisten Fällen durch eine Spontanmutation, kann aber auch vererbt werden.
In der Antike wurden kleinwüchsige Menschen sehr geachtet. 4500 Jahre vor Christus bereits wurde ein kleinwüchsiger Mensch beschrieben und es finden sich zahlreiche Skulpturen beispielsweise im Ägyptischen Museum, Kairo. Im antiken Ägypten konnten Menschen mit Kleinwuchs ein normales Leben ohne soziale Benachteiligung führen – als Schreiber und Künstler, Berater oder Diener und als Handwerker.
Narkose kann für Menschen mit Skelettdysplasie schwierig sein, denn die Atemwege sind durch das Knochendicken-Wachstum verengt. Bei allen Kleinwuchsformen ist es zudem ratsam, Peridural- und Spinalanästhesie zu vermeiden.
Wachstumshormonmangel entsteht, wenn die Hypophyse kein oder zuwenig Wachtumshormon produziert und ausschüttet. Das kleine, proteinartige Hormon, das schwer direkt messbar ist, gelangt schnell in die Leber und wird in den insulinartigen Wachstumsfaktor 1, auch genannt IGF-1, umgewandelt. Ärztliche Spezialisten für Wachstumsstörung sind Endokrinologen. Bis circa 1985 wurde das Wachstumshormon aus der Hirnanhangdrüse verstorbener Menschen hergestellt. Dies war nicht nur sehr teuer, sondern auch mit der Gefahr einer Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung verbunden. Heute wird das fehlende Hormon gefahrlos durch gentechnisch veränderte Escherichia coli-Bakterien hergestellt, übrigens die gleiche Methode für die Gewinnung von Insulin. Kleinwuchs, der durch Wachstumshormonmangel entsteht, kann gut therapiert werden. Auch das Ullrich Turner Syndrom, das nur Mädchen betrifft, wird mit Wachstumshormon behandelt.
Unbekannt blieb die Schauspielerin Tamara De Treaux, obwohl ihre Rolle weltberühmt wurde: E.T. Die 79 Zentimeter große Frau verbarg sich im Inneren der ausserirdischen Filmfigur. Sie war eine Freundin des amerikanischen Schriftstellers Armistead Maupin und stand für die Romanheldin in seinem Roman “Die Kleine”. Der Regisseur Steven Spielberg ließ nach den Dreharbeiten Tamara De Treaux am Ruhm dieses Films nicht teilhaben und gab den Auftrag, alle Puppen und Puppenbestandteile von E.T. zerstören.
Congenital bedeutet nach Geburt erkennbar und trifft auf die Kleinwuchsform Spondyloepiphysäre Dysplasie congenital zu: Spondylo = Wirbelsäule / Epiphysär = Knochenenden / Dysplasie = Gewebeveränderungen / Congenital = nach Geburt erkennbar. Durch die Veränderung der Erbinformation an einer einzigen Stelle wird ein wichtiger Baustein des Bindegewebes (das Kollagen-II-Molekül) fehlerhaft gebildet. Dadurch kommt es zu einer Störung beim Einbau dieses Bausteines in das Gewebe.Diese Wachstumsstörung bedeutet erheblichen Kleinwuchs, Verschiebung der Körperproportionen, Probleme an Wirbelsäule, Gelenken und Augen. Etwa die Hälfte der Menschen mit SEDC haben eine mittelbis hochgradige Kurzsichtigkeit, die bis zu einer Netzhautablösung im Auge mit nachfolgender Erblindung führen kann. Erwachsene werden meist zwischen 105 cm und 140 cm groß.
Hilfe benötigen Menschen mit Kleinwuchs teilweise für die täglichen Dinge des Lebens. Treppenstufen, Lichtschalter, Knöpfe im Fahrstuhl, Fenster- und Türgriffe sind oft zu hoch angebracht. In der eigenen Wohnung können Sonderanfertigungen helfen, Küchenmöbel oder Wasch- und Spülbecken bequem nutzbar zu machen. Passende Kleidung und Schuhe müssen oft lange gesucht oder als Maßanfertigung gekauft werden. Um den Arbeitsplatz an die Erfordernisse Menschen mit Kleinwuchs anzupassen, genügen oft technische Veränderungen, wie etwa behindertengerechte Stühle mit Fußstützen, kürzere Sitzflächen und höhere Armlehnen. Auch Fahrrad und Auto müssen angepasst werden.
Silver Russell Syndrom – beschrieben 1953/54 von den beiden Namensgebern Dr. Silver aus Großbritannien und Dr. Russel aus den USA – gehört zum “Intrauterinen Kleinwuchs”. Das Baby ist schon im Mutterleib zu klein und zu leicht. Erwachsene haben eine sehr zierliche Figur und werden circa 130 bis 150 cm groß. Wahrscheinlich ist eine genetische Störung verantwortlich für diese Wachstumsstörung.
Stand vor 2015